
Wie inszeniert man den Glauben in den großen Epochen der Baugeschichte vom frühen Christentum bis ins 21. Jahrhundert? die bekannte Architekturhistorikerin Stefanie Lieb zeigt, aus welchem Grund in der Romanik die Kirchen wehrhaft gebaut wurden, warum die Lichtkathedralen der Gotik auf das Himmlische Jerusalem verwiesen und wie die barocken Wallfahrtskirchen als Gesamtkunstwerke den Betrachter emotional ansprechen. Bis in die Gegenwart hinein verfolgt sie die Umsetzung sakraler Konzepte als spirituelle Orte der Kunst und der Stille.
Mit dem Begriff »Kirche«, der dem Griechischen entlehnt ist (kyriaké, kýrios) und mit »Haus des Herrn« übersetzt werden kann, assoziiert man heutzutage mehreres: zum einen die Organisation und Institution der christlichen Weltreligion mit ihren drei Hauptkonfessionen katholisch, evangelisch und orthodox, zum anderen die Weltgemeinschaft aller christlichen Gläubigen und schließlich das Bauwerk, das als »Haus des Herrn« fungiert und die Versammlungsstätte der Gemeinde darstellt.
Trotz eines festgelegten Kanons für den Sakralbau, der nicht zuletzt durch die jeweilige liturgische Nutzung seine Maßgaben erhielt, haben sich im Laufe der Jahrhunderte eine große Vielfalt an Bautypen und Raumgestaltungen allein auf dem Gebiet des christlichen Kirchenbaus entwickelt. Dies hat zu tun mit der Herausbildung der unterschiedlichen Funktionstypen wie Bischofskirche, Klosterkirche, Pfarrkirche, Dorfkirche, Grabkirche, Kapelle etc., dann aber auch mit dem Wandel der religiösen Auffassungen, der Glaubensäußerungen und der Ausführung der Riten in einem entsprechenden Sakralbau.
Für die Schöpfer dieser Kirchenräume, die Architekten, Künstler und Handwerker, war und ist es seit dem frühen Mittelalter bis in die heutige Zeit eine besondere Herausforderung, den passenden architektonischen Rahmen für das christlich-religiöse Erleben zu schaffen. In diesem Wunderschönen Bildband werden chronologisch die Entwicklungsstränge dieses Bautyps »Kirche« zusammenfassend nachgezeichnet, in einem jeweiligen historischen Zusammenhang gestellt und exemplarisch durch bedeutende Sakralbauten veranschaulicht.
In diesem Band finden wir Beispiele aus der Spätantike und dem frühen Christentum, den Klosterzellen und der Kaiserdome der Romanischen Zeit, den Kathedralen der Gotik, dem antiken Geist und dem inszenierten Glauben der Renaissance und dem Barock, der Aufklärung, der Revolution und dem Rückbezug im Klassizismus und Historismus und schließlich der Suche nach Spiritualität von der frühen Moderne bis in die heutige Zeit. In zahlreichen brillanten Fotografien werden bekannte Gotteshäuser wie der Kölner Dom, der Petersdom zu Rom, die Hagia Sophia in Istanbul, San Marco in Venedig, der Aachener Dom, der Speyerer Dom, die Kathedrale in Santiago de Compostela, Notre-Dame in Paris, das Ulmer Münster, die Karlskirche in Wien, die Frauenkirche in Dresden, den Dom zu Berlin und zahlreiche weitere, aber auch weniger bekannte Sakralbauten präsentiert. Zu zahlreichen Kirchen gibt es auch Grundrisse und andere interessante Dokumente. Für mich ist es immer wieder erstaunlich, wie man vor Hunderten von Jahren, ohne die heutigen technischen Hilfsmittel solche Meisterleistungen erbringen konnte.
In einigen kurzen Exkursen widmet sich die Autorin speziellen Themen, wie dem Tempel Salomos, dem Bautyp Basilika, den Märtyrer- und Reliquienkult, der mittelalterlichen Steinbearbeitung, die Säulenordnungen, über Michelangelo in Rom, über Regularien für den Kirchenbau im 19. Jahrhundert, über das zweite Vatikanische Konzil und seine Auswirkung auf den modernen katholischen Kirchenbau und über Kirchen-Architekten wie Filippo Brunelleschi, Karl Friedrich Schinkel und Viollet-Le-Duc.
Dieser Wunderschöne Bildband entführt uns in die Geschichte des Kirchenbaus. Spannend zu lesen und mit vielen bebilderten Beispielen. Ein passendes Buch für jeden, der sich für Architektur- und/oder Kirchengeschichte interessiert.
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